
Heuer größer und zum achten Mal: Das Kulturfestival im Türkenschanzpark. (Foto: Oswald)
(Wien, im September 2011) Eine Inspektion in Wien-Währing ergab: Der SPÖ-Bezirksrat Michi Gebetsberger sitzt am Samstag um 19 Uhr 30 beim Wirtn in der Gersthoferstraße, führt Schmäh und besucht nicht das Montmartre-Festival vor seiner Haustür im Türkenschanzpark. Der Türkenschanzpark bleibt trotzdem ein Gedicht von einem Park. Er verdient Währing wie der Bezirk diesen Park verdient. Die Grünanlage wurde von den Bürgern Wiens in Eigeninitiative erbaut. Wenn man so will, war das eine der ersten “Bürgerinitiativen” Wien, eine sehr “grüne” außerdem. Die Geschichte dieses Parks hat es in sich und gehört zum Besten, was Wien zu bieten hat.
Bürgerinitiative
1683 war das Areal während der 2. “Türkenbelagerung” eine Schanze der Türken. Exakt 200 Jahre später, 1883, beschließen “Bürger Währings” in einem frisch gebildeten Comitée mitten in der Monarchie, dass sie einen Park haben wollen. Da das Geld fehlt, stellen zwei Edelbürger Geld für 50.000 Quadratmeter Grund auf und der Park wird geplant und gepflanzt. Vorsitzender des “Bürgercomitées” ist kein Geringerer als Architekt Heinrich Ferstel, der in Wien die Hauptuni Wien baute, das Museum Angewandter Kunst MAK, das Café Central und die Votivkirche. 1888 wurde der Park durch den Kaiser Franz Josef feierlich eröffnet. Heute ist der Park in Summe 150.000 Quadratmeter groß, beherbergt eine Fülle von Denkmälern (unter anderem ein Adalbert Stifter Denkmal, eines von Leon Askin) und gehört zu den Top-3 der schönsten Parkanlagen Wiens. Die Geschichte Parks zeigt, was möglich ist, wenn aus der regionalen Bürgerschaft ein Wille entsteht, der etwas umsetzen will. Hätte sich das “Bürgercomitée” nicht gegründet, wäre die Fläche – in heute allerbester Wienlage – keine Grünoase geworden, sondern ein Häusermeer.
Inszenierung der Pause
Das Leben besteht nicht nur aus Hektik, sondern auch aus Ruhe. Es braucht Spielmacher in der Gesellschaft, die die Kunst der Pause inszenieren. 2011 zehren davon und danken die heutigen Bürger Wiens den damaligen Tatendrang und Gestaltungswillen. Aus einer ehemaligen “Angriffsschanze” einfallender Truppen, die Wien in ihre Hand und nach Osmanien bringen wollten, wurde das schönste Naherholungsgebiet Wiens nach dem Schönbrunner Park und dem Park im Wiener Prater.
Seit acht Jahren nun gibt es ein Paris nachempfundendes Kulturfest im Türkenschanzpark, das sich “Montmartre” nennt. 2004 das erste Mal von Erich M. Porsch organisert will es die Fülle des Wiener Kulturlebens “zu den Menschen bringen”. Es ist eine Mischung aus Bildender Kunst, Darstellender Kunst auf der Bühne (Gesang, Instrumental), Kinderanimation und heuer das erste Mal auch die “Clown-Kunst”. Dazu gibt es einen großen Kunst-Handwerkmarkt, der sich entlang der Wege und Straßen des Parkes in weißen Zelten zeigt. Interkulturell ist das Ganze angelegt, nicht aus-, sondern einbindend. Öffnend und weit, nicht hermetisch und eng.
Schwieriger Kulturmarkt
Es finden sich viele Menschen, die den Zugang zu den Institutionen nicht finden, weil der “Kulturmarkt” in Wien ausnehmend schwierig ist. Musikgruppen, die aus sieben Personen bestehen, die teilweise aus sieben Ländern und drei Kontinenten stammen, bekommen ihren Auftritt. Für Rassismus ist beim Festival kein Platz. Das Völkerverbindende der Kultur- und Kunstarbeit steht im Vordergrund, so sie eine gemeinsame Sprache im Rhythmus findet.

Die Portion Illusion: Das Karusell für kleine Besucher. (Foto: Oswald)
Heuer herrscht Kaiserwetter und Organisator Erich Porsch hat Wetterglück. Zwei wunderschöne Tage (Freitag, Samstag) können nur von einem dritten kaiserlichen Tag im kaiserlichen Park ergänzt werden. Porsch hat das Festival 2011 sehr professionell im Griff. Der kleine Mann mit Vollbart hat viel durchlitten. Die ersten Jahre seit 2004 waren sehr hart. Keine Förderung von der Stadt Wien, er musste in Privatkonkurs. Schwester, Bruder, alle halfen in den Jahren noch stärker zusammen. Heuer ein Schicksalsschlag: Mitten im Festival, am 3. September 2011 muss er auf ein Begräbnis. Ein Bruder war im Alter von 58 Jahren verstorben. Der Mann musste für seine Idee, im Türkenschanzpark das größte, privat organisierte Kulturfest Wiens (also eines, das nicht von der SPÖ veranstaltet wird) durchzuführen, viele Rückschläge hinnehmen. Er blieb Idealist, ließ sich nicht entmutigen, wie auch eine Kontroverse mit der Stadt Wien zeigt (siehe Video).

Es ist dieser alte Währinger Geist von 1883, als das Heinrich Ferstel-Comitée auf 50.000 Quadratmetern partout einen Park wollte. Heute ginge das nicht mehr: Heute würde die Stadt Wien nie und nimmer eine so großen Fläche leer lassen, sondern “Geförderte Genossenschaftswohnungen” hinklotzen. Dieser rebellische Geist steckt in Erich Porsch. Daher gibt es das “Montmartre-Festival”.
Gauklerbühne neu
Heuer ist vieles Neu. Es gibt mittlerweile vier Bühnen. Im Vergleich zum Vorjahr blieben nur zwei Locations gleich: Die Restaurant-Bühne beim Ententeich und die bewährte Gärtnerei-Bühne für Liedermacher und Kleinformationen im intimen Rahmen. Brandneu ist heuer die Gaukler-Bühne für Clowns beim Türkenbrunnen und wirklich heiß ist die Ottakringer Bühne auf der großen Liegewiese unterhalb der Paulinenwarte. Diese Bühne ist die größte Bühne, sie ist stimmungsvoll. Die Liegewiese ist steil in einem Naturhang und am lauwarmen Abend wird sie eine Art “Woodstock-Wiese”. Die Leute haben Decken mit, lassen sich auf der abendfeuchten Wiese nieder. Die Bäume sind indirekt beleuchtet. Es ist faszinierend, was sich Erich Porsch hier ausgedacht hat. Aus einer Sonnenwiese wird ein Klangraum.
Soundtechnik top
Apropos Klang: Die Soundtechnik braucht sich mittlerweile hinter dem Donauinselfest nicht zu verstecken. Die “Ottakringer Bühne” steht ideal zum Hang und erzeugt einen perfekten Klang.

Internationale Besetzung aus sieben Ländern, tolle Stimme: Consepatgons auf der Ottakringer Bühne im Türkenschanzpark. (Foto: Oswald)
Zum Anhören im Web: The Conseptagons – 7 Musiker aus 7 Ländern aus und in Wien.
400 Jungmusiker und auch routinierte spielen auf. Alle Könner, die sich auf die Bühne stellen, tun das, ungewöhnlich für Wien, “für ein warmes Essen”: Kein Künstler bekommt eine Gage, aber freies Essen und Verpflegung. Das ist der tiefere Sinn des Festivals: Die Interpreten aus den Innenstadtgalerien und Innenstadtlokalen zu holen, zum Publikum. Rund 60.000 Gäste waren es im Vorjahr. Die Inspektion an den ersten zwei Tagen ergab ein gänzlich anderes Bild: Die Marke 100.000 wird 2011 sicher am dritten Tag gebrochen. Denn der Park war am Samstag gesteckt voll.
Wien Kultur fördert mit
Besieht man sich heuer die Sponsorentafel, dürfte Organisator Erich Porsch heuer erstmals der Durchbruch gelungen sein. Unter den Sponsoren scheint nicht nur der “18. Bezirk” auf, sondern erstmals auch das Logo der “Wien Kultur”. Ferner ist die “Wirtschaftsagentur Wien” als Geldgeber dabei, ein “Fonds der Stadt Wien”. Außerdem die “Strabag”, “Ottakringer” mit einer eigenen Bühne, die “Bank Austria” die “Wiener Einkaufsstraßen”.
Außerdem hat “Montmartre” diesmal weit mehr Stände und Zelte vergeben als in den Vorjahren. Man kann keltische Armbänder kaufen, afrikanische Mode, Zuckerwatte, Speck aus Vorarlberg (“der beste Speck Europas” wirbt der Standler), Schmuck aus Ungarn, kandierte Früchte aus Wien oder sich vom – aus den USA stammenden – sozialen Netzwerk “Yelp”, das einen eigenen Stand hat, beraten lassen. Die “Wiener Pfadfinder” haben einen ganz großen Stand samt Lagerfeuer und die Medienpartner wie die “Wiener Bezirkszeitung” bekamen – im Gegensatz zum Vorjahr – auch ein eigenes Werbezelt. Parteipolitische Verbände oder Vorfeldorganisationen sind nicht vertreten. Parteipolitik bleibt auf dem Festival draußen.
WCs kosten nun 50 Cent
Neu ist auch eines, es wird von Besuchern kritisiert: Standen im Vorjahr viele Mobil-WCs zur Gratisnutzung, sind heuer zwei orange Groß-Container der Stadt Wien (MA 48) aufgestellt. Dort kostet die WC-Nutzung sage und schreibe 50 Cent.
Montmartre 2011 wurde größer und wächst nach wie vor. Das Mehr an Sponsoring führte zu Kompromissen. Man muss Acht geben, dass man nicht zu viele Kompromisse eingeht. Sonst geht das Authentische verloren und es wird Plastik wie das Rathausfestival. 2005 trat bei Montmarte der Hernalser Hansi Lang und die Hallucination Company auf. Bei Montmarte steht Kunst im Mittelpunkt, die immer eine Gratwanderung ist.

Der Wiener Kaiser Franz Josef gab den Wienern die Paulinenwarte und den Park. Das war 1888. 123 Jahre später ist der Park jung wie bei seiner Geburt. (Foto: Oswald)
Tag drei bei Sonnenschein findet den ganzen Tag am 4. September 2011 statt. Ort: Türkenschanzpark zu Währing. An diesem Tag enden in Wien die Schulferien. Dann beginnt für 200.000 Schüler wieder der Ernst des Lebens.
+++
www.montmartre.at
Das Programm 2011 – Fullversion (pdf, 2 mb)
Marcus J. Oswald (Ressort: Kultur)
Einsortiert unter:Kultur Tagged: Erich Porsch, Montmartre, Montmartre 2011, Musikstadt Wien, Währing, Wien
